Friedrich Merz zwischen Profil und Attacke – Ein Porträt des Kandidaten. Von Martin Lohmann
Er will. Er taktiert. Er kann. Friedrich Merz traut sich viel zu. Andere ihm auch. Einen Mangel an Selbstbewusstsein sagt ihm niemand nach. Er weiß, wer er ist. Und er sagt es jedem – in Worten oder auch wortlos. Ein Erfolgreicher. Ein Macher. Ein Mann der Mitte? Ein Konservativer? Ein Liberaler? Bodenständig? Auch als Millionär? Als Wirtschaftsboss? Als Anwalt? Als Lobbyist? Wer ist dieser am Martinstag 1955 in Brilon geborene Sauerländer heute, der im Europaparlament saß, Abgeordneter im Bundestag war und Oppositionsführer als Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion? Wie tickt der Jurist, Vater von drei erwachsenen Kindern und Großvater dreier Enkel, der mit seiner Frau Charlotte seit 1981 verheiratet ist und in Arnsberg lebt? Was bringt er nach zehn Jahren Politikabstinenz mit, um eventuell als Nachfolger von Angela Merkel, von der er sich aus der aktiven Politik damals enttäuscht rausgedrängt fühlte, die Partei eines Konrad Adenauer aus dem Loch der Vertrauenskrise und der verdunsteten Glaubwürdigkeit herauszuholen? Wie will er sie als unterscheidbare Union heute zukunftsfit machen?
Vermeidet Aussagen zum Lebensschutz
Merz, der 1971 wegen schlechten Verhaltens das Gymnasium wechseln musste, trat 1972 in die CDU ein. Sie ist ein Teil seines Lebens. Trotz der Ruhezeit in den vergangenen zehn Jahren, die er mit Energie und Ehrgeiz nutzte, um Aufsichtsratsposten und andere lukrative Verantwortungen zu übernehmen. Als Kandidat für den Vorsitz in der Nach-Merkel-Ära bringt er das Image eines Erfolgreichen mit, nicht das eines Gescheiterten. Aber er weiß auch, dass sein altes Image als konservativer Wirtschaftsliberaler und Mann der deutschen Leitkultur nicht allen gefällt. Daher gibt er sich jetzt bewusst als Sozialer, flirtet mit den Grünen. Und: Er, Mitglied der katholischen Studentenverbindung Bavaria zu Bonn im CV, vermeidet klare Aussagen etwa zum Lebensschutz, wohl wissend, dass diese sowieso heute polarisieren könnten. Umweltschutz ist halt weniger „problematisch“ als Lebensschutz. Anecken will er gerade jetzt nicht.
Konservativ? Liberal? Im Zweifel weiß auch Merz, dass beides kein Gegensatz ist, denn der Konservative ist – im Gegensatz zum Reaktionären – stets offen für das Neue, falls es denn besser ist als Altes.
Bewährtes aber – erst recht ohne wirkliche Alternative – bewahrt der Konservative, um zukunftsfähig zu bleiben. Vielleicht will sich Merz gerade deshalb in diesen Zeiten nicht einordnen lassen. Einen Stempel fürchtet er. Die sogenannte „Ehe für alle“ befürwortet er. Den Preis der Ludwig-Erhard-Stiftung lehnt er ab, weil er sich nicht mit dem kritischen Vorsitzenden der Stiftung zeigen wollte, der aus seiner Sicht „rechtspopulistisch“ journalistisch tätig sei.
Und die AfD, zu der viele „C“-Wähler wegen erkennbarer Profillosigkeit der Union abwanderten, nennt er ganz forsch auch schon mal „nationalsozialistisch“. Dass er damit deren Wähler pauschal beleidigt und sich vorwerfen lassen könnte, den Nationalsozialismus zu verharmlosen, nimmt Merz offenbar locker in Kauf. Nach links teilt er nicht so aus.
Sehnsucht nach dem Ende der Raute
Weichgespülte Kante als neues Profil? Merz will viele erreichen, auch die Merkelianer. Und daher versucht er den charmeangereicherten Spagat. Wohl wissend, dass es die Sehnsucht in der Union nach dem Ende der Raute gibt, lobt er – auch ungefragt – die Noch-Vorsitzende eifrig. Und übt scharfe Kritik. Er beteuert, sich nicht von Merkel abzugrenzen – und tut genau das. Die CDU müsse „wieder“ (!) die Partei sein, „die für den Rechtsstaat steht und für eine Rechtsordnung, die eingehalten wird“, sagt er vor allem auch im Blick auf die Grenzöffnung von 2015. Bis heute sei nicht geklärt, „auf welcher Rechtsgrundlage die Grenzen eigentlich geöffnet wurden“ damals.
Der neoliberale Kompetenzträger wäre vor Jahresfrist für eine solch kritische Aussage von Gutmenschen noch selbst als rechtspopulistisch beschimpft worden.
Er will seine Partei, die in den vergangenen Jahren unter der Grünkanzlerin aus der breiten Mitte nach links verschoben wurde, weshalb sie sich selbst fast schon selbsthypnotisch „Die Mitte“ nennt, selbstverständlich „nicht nach rechts gehen“ lassen. Aber er will „diejenigen zurückgewinnen“ und „sich zu Hause fühlen lassen, die die nationale Identität dieses Landes, die einen gesunden Patriotismus für dieses Land für richtig halten“. Und zugleich: „Wir müssen die Europapartei sein.“
Wertkonservative müssten wieder (!) in der CDU ihre politische Heimat finden können, hebt er hervor. Er, der gerne die christlich-jüdische Tradition des Abendlandes betont, ist gegen Multikulti und erklärt die Anerkennung unserer Wertegemeinschaft, der Freiheitsrechte und der Überzeugung von einer freiheitlichen Gesellschaft auf der Ordnung des Grundgesetzes zu einem Lackmustest für eine erfolgreiche Integration.
Friedrich Merz weiß mit dem Florett des Populismus zu spielen. Präsidial unverbindlich sucht er gemeinsames Vielfaches. Zwischen Echt-Merz und Neu-Merz vernebelt sich viel klares Profil. Noch. Bleibt die Frage, ob aus dem Vor-Merz ein veritabler Nach-Merkel werden kann.
Quelle: https://m.die-tagespost.de/politik/pl/Florett-des-Populismus;art315,193671 (Erschienen am 21.11.2018)